Chemo

Verkrampft trete ich ins Krankenhaus und sofort umschwappt mich dieser tiefsüss medizinische Geruch, von dem mir unmittelbar übel wird. Mit jedem Besuch verbindet mein Gehirn diesen Geruch mehr mit der Chemo, schwer zu beschreiben wie ein Geruch so abstossend sein kann, schlimmer als jeder Furz und jeder Studentenkühlschrank nach den Sommerferien.

 

Auf dem Weg in den vierten Stock ist mir bereits nach Kotzen zu Mute. Auf der Onkologie zieht ein anderer Geruch dazu, er ist tatsächlich noch ein Stück schlimmer, ich weiss bis heute nicht woher er genau kam. Ich setze mich auf den Stuhl, werde von der Schwester angeschlossen.

 

"Na wie gehts uns heute?"

 

"Ganz gut." Ich schätze, die Farbe meines Gesichts muss mich wohl lügen strafen.

 

"Carnitin?" fragt sie.

 

"Ja."

 

Carnitin ist ein kleines Fläschchen mit Zitronenduft, das ich über ein Tuch tief inhaliere um jeden anderen Geschmack zu vertreiben. Aber es hilft immer weniger, langsam verbinde ich auch das Carnitin mit den Giften, die jetzt konstant in mich hineinfliessen. Ich versuche, daran zu denken, dass auch diese Medikamente aus der Natur kommen, ich glaube die Eibe produziert irgendwas davon...

 

Ein 18-Jähriger im Nachbardorf ist gestorben, ist wohl betrunken in einem Fluss ertrunken. So schnell kanns gehen. Leben ist geschenkt. Der Tod nimmt niemandem irgendwas weg. Es wird halt nur keine Zeit mehr geschenkt.

 

Ich kotze ins Waschbecken, dann fliehe ich nach draussen und setze mich ins Gras. Die frische Luft tut gut, aber mir ist immer noch schlecht. Ich ziehe die Kapuze auf und mache mich auf den Weg zum Zug. Hoffentlich erkennt mich niemand.

 

Es war die letzte Dosis. Endlich.

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Kommentare: 2
  • #1

    Silja (Freitag, 09 Dezember 2016 21:50)

    Das liest sich sehr, sehr schön und gibt eindrucksvoll die Eindrücke einer Chemo wieder; da werden die Erinnerungen auch nach 19 Jahren noch sehr belebt.

  • #2

    Mata (Freitag, 09 Dezember 2016 22:58)

    Vielleicht schreibe ich irgendwann demnächst noch ein, zwei Einträge dazu. Ich hab damals ziemlich intensiv Tagebuch geschrieben, vielleicht ist da was brauchbares darunter ;)