Zeitverschwendung: Die aktuellsten Trends

Ich döse vor mich hin, 30 Zentimeter vor meinem Gesicht lacht das Mädchen auf dem Bildschirm, dann konzentriert sie sich wieder auf ihren Champion, Ahri. Ein gefeedeter Bruiser flasht auf sie drauf und nach einer verzweifelten Instanz ihrer Ultimate ist der Bildschirm schon grau.

 

Sie meinte, sie sei wohl nicht die beste Spielerin und auch nicht die klügste, daher wisse sie nicht, wieso ihr überhaupt jemand beim Spielen zusehe.

 

Ich schreibe in den Chat, sie sei aber sicher die beste Videospiel-Streamerin für Genderdiskussionen, bezogen darauf, dass sie vorher noch ziemlich abgeklärt mit ihren Zuschauern darüber diskutiert hatte.

 

Wieder lacht sie.

 

Ihr Lachen wirkt echt, aber ihr Stream lebt auch davon, dass ihre Zuschauer sie mögen, denn sie ist vielleicht gut in dem Spiel, aber halt nicht SEHR GUT. Die Zuschauer sind meist männlich und anonym, aber doch schon eine Gemeinschaft, denn es sind immer dieselben Pseudonyme, die im Chat erscheinen. Ein gewisser Kern kennt sich auch über Teamspeak, alle verbringen ihre Abende regelmässig im Stream, ich habe nie dazugehört, wollte ich auch nicht. Zu viele Männer.

 

Sie weiss, dass ihr Stream davon lebt, dass sie weiblich, hübsch und symphatisch ist, aber wir wissen das auch und sie weiss auch, dass wir das wissen.

 

Es ist trotzdem schön eine weibliche Stimme zu hören, bevor man einschläft.

 

 

Dieses ganze Streaming-Phänomen ist vor etwa drei Jahren aufgekommen und wird immer beliebter, warum? Und warum spricht niemand darüber?

 

 

Die prominenteren unter den auch deutschsprachigen Streamern erreichen schliesslich doch schon Zuschauerzahlen im fünfstelligen Bereich. Twitch, die beliebteste Website für solche Streams, befand sich 2014 bezüglich des Internet-Datenverkehrs von Unternehmen (Videos sind natürlich datenintensiv) an vierter Stelle nach Netflix, Google und Apple.

 

 

Meine Freunde lachen wenn ich erwähne, dass ich den ganzen Abend einen solchen Stream angesehen habe. Ich sei wohl schon zu faul zum Zocken. Ich glaube aber, hinter der Popularität dieser Unterhaltungsform steht etwas anderes. Im Grunde ähnelt es ja einer akzeptierteren Form von Zeitverschwendung: Fussball schauen.

 

 

Ich hab mir das immer nur gegeben, wenn andere dabei waren. Das Äquivalent im Stream ist die Interaktion im Chat. Das Wichtigste an beiden Spielen ist aber: Es ist komplett hirnlos, es gibt nichts nachzudenken.

 

 

RTL-Nachmittagsshows in denen die verschwundene Linda unter der Dusche von den SEK-Spezialeinheiten überrascht wird, ein grosser Teil aller jemals stattgefundenen Besäufnisse, alles dasselbe, ich könnte auch fucking Meditieren dazuzählen, wenn das nicht so einen unverdient guten Ruf hätte.

 

 

Die meisten Dinge aber, die nicht irgendwie produktiv ist oder zumindest den Geist formen, sind heute leider verpönt, deswegen muss man sich ständig neue Entschuldigungen einfallen lassen, einfach mal nichts zu tun.

 

Dann geht doch in euer Yoga, aber kritisiert mich bitte nicht wenn ich auch mal WIRKLICH gar nichts machen möchte.

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