Die Firma (Teil 2)

Wie mir U. irgendwann im Vertrauen sagte, war er nicht nur lernbehindert, sondern hatte regelmässig Epilepsieanfälle, wogegen er Medikamente nahm, die ihn allerdings sehr müde und traurig machten. Ich erinnere mich als es eines Tages nicht so gut um ihn stand.

 

"Ich bin müde." meinte er dann. Fing von irgendeinem Thema an, stoppte und wiederholte wieder nur: "Ach, ich bin müde." Seine Stimme war resigniert und man konnte spüren, dass er das alles schon kannte. Ich gab dem Chef Bescheid und der kannte das wohl auch schon, denn er rief sofort U.'s Mutter an.

 

Vielleicht müsste ich anmerken, dass U. an die 30 war. Er sass immer im selben Zug in dem wir Schüler damals zum Gymnasium gefahren waren. Beleidigte die Schüler manchmal, schimpfte dann bis zur Station an der die Schar ausstieg. Hab auch erst nach ein, zwei Wochen verstanden, dass er dieser Assi-Zug-Typ war.

 

"Du bist ein Guter." meinte er mal zu mir. "Du bist nicht wie die anderen." Die anderen waren die Schüler im Zug die auch auf meine Schule gingen.

 

Der Chef hatte mir eine gebrannte CD mitgebracht, mit zwei Alben drauf. Natürlich hätte ich die superschnell selber runterladen können, aber die Geste zählt, ist schon so. Wir hatte uns über die besten Sharingportale unterhalten und über Musik. Er stand auf poppigen Hardrock und ich mehr auf poppigen Punkrock aber "The Anix" hatten es mir dann doch angetan und so kam es zu der Nettigkeit.

 

"Hab mich am Arm verletzt, scheisse ja."

 

Der Arm sah normal aus und ich konnte nie eine Einschränkung beobachten, aber wer weiss was Leute so mit sich herumtragen. Man muss nicht alles wissen.

 

Warum genau die Leute in dieser IV-Abteilung waren, war mal schwerer, mal leichter zu erkennen. Da war der Typ mit dem Sprechgerät am Hals, kurz nachdem ich ankam, trat er seine Reise nach Las Vegas an. Dann einer um die 20, sah normal aus und wirkte meist ziemlich distanziert, als würde er gar nicht hingehören. Aber eines Tages, ich musste irgendwas ausleihen, und kam an seinem Arbeitsplatz unter einer grossen Maschine vorbei, da sah er mich an und grinste. Ich grinste zwar zurück und vielleicht war es nett gemeint, aber ich hatte plötzlich diesen Gedanken im Kopf, dass er mich angesehen hatte wie ein Stück Fleisch.

 

Besser nicht drüber nachdenken.

 

Irgendein Donnerstag. Ich hab am Vorabend getrunken, keine Ahnung zu welchem Anlass, aber ich bin zu spät. Der Boss ist unzufrieden, ich bekomme Ärger, aber er hat das nicht so wirklich drauf mit dem wütend werden und als ich nach Arbeit frage bekomme ich für eine halbe Stunde etwas zu tun, bevor ich wieder in Lethargie versinke.

 

U. hat seine Schuhe und Socken ausgezogen und zieht sich Haut von seinen sich schälenden Füssen. Er sammelt sie auf dem Tisch. Er fragt mich:

 

"Warum sagen die Leute ich sei speziell?"

 

Ich weiss darauf keine Antwort und sage irgendwas davon, dass jeder speziell sei.

 

Was für eine dumme Antwort.

 

Nachdem ich woanders arbeiten ging schrieben wir uns noch manchmal, aber seine Nachrichten waren durchzogen von haufenweise Schreibfehler, was sie oft unlesbar machte und eigentlich war es nicht so wirklich ein Dialog, deswegen schrieb ich bald immer weniger zurück. Dann hatte ich eine neue Nummer und vergass ihn mehr oder weniger.

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